Newsletter 09/2023

Patente

Newsletter 09/2023


Hans Joachim Gerstein, LL.M.
Patentanwalt, Dipl.-Ing.
Hannover
01.03.2023

Bei einer Teilnichtigkeitsklage ist eine beschränkte Verteidigung nur in dem angegriffenen Schutzumfang möglich. Der BGH hat nun in dem von MB Hannover, PA Gerstein zusammen mit RA Dr. Hall, für die Mandantin WAGO, einem familiengeführten Weltmarktführer in der Federklemmtechnologie, erstrittenen Urteil vom 13. Juni 2023 – X ZR 47/21 [1] klargestellt, dass ein Rechtschutzbedürfnis für ein Herausgreifen eines Teils der Merkmale eines nicht angegriffenen Patentanspruchs besteht. In der Vorinstanz (BPatG Urt. v. 19.02.2021 – 6 Ni 51/18) wurde die Formulierung „einer von mehreren Varianten eines insoweit nicht angegriffenen Unteranspruchs“ aus dem BGH Urteil „Ankopplungssystem“ [2] weit ausgelegt und auch auf Teilmerkmale bezogen. [3] Dies wäre dann vom Schutzbereich losgelöst.

Bei einer Teilnichtigkeitsklage erfolgt keine gerichtliche Prüfung der nicht angegriffenen Patentansprüche. Bei der Verteidigung der angegriffenen Ansprüche durch Aufnahme ursprünglich offenbarter Merkmale ist die Schranke des nicht angegriffenen Schutzbereichs zu beachten, der ungeprüft aufrechterhalten wird und durch den fehlenden Angriff kein Streitgegenstand ist. Für dessen Aufnahme fehlt ein Rechtschutzbedürfnis. [4] Stattdessen müsste ein Beschränkungsverfahren durchgeführt werden.

Der Bundesgerichtshof stellt in der Leitsatzentscheidung nun klar, dass ein Rechtschutzinteresse besteht, wenn der angegriffene Anspruch lediglich um einen Teil der Merkmale eines nicht angegriffenen Unteranspruchs ergänzt wird. [5] Dies hat Meier-Beck früher bereits treffend formuliert: „Die Möglichkeit, sich mit einzelnen Merkmalen eines nicht angegriffenen Unteranspruchs zu verteidigen, bleibt hiervon selbstverständlich unberührt.“ [6]

Dies spielt nicht nur im deutschen Patentnichtigkeitsverfahren und Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eine Rolle, sondern auch im Nichtigkeitsverfahren vor dem UPC. Das Rechtschutzbedürfnis wird auch vom EPG geprüft und führt nach EPGÜ und EPGÜ-VerfO zu demselben Ergebnis. Es ist aber Vorsicht geboten, da den Nichtigkeitskläger nach Regel 32 Abs. 1 lit. a EPGÜ-VerfO die Darlegungspflicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung trifft. Auf eine gerichtliche Zurückweisung der beschränkten Verteidigung sollte nicht vertraut werden.
Bei der Verteidigung des Patentinhabers ist zu beachten, dass eine übermäßige Anzahl von Hilfsanträgen gem. Regel 30 Abs. 1 lit. c EPGÜ-VerfO unzulässig ist, wenn dadurch eine unübersichtliche und unzumutbare Verfahrenssituation geschaffen wird. Die Beschränkung der Möglichkeit zur Änderung von Patentansprüchen auf die Erwiderung auf die Nichtigkeitsklage führt bereits zu einem strengen Korsett für die Verteidigung des Patentinhabers. Die Hilfsanträge mit der dahinterliegenden Verteidigungsstrategie müssen daher frühzeitig stringent und abschließend festgelegt werden.
Ein ausführlicher Aufsatz zu dem Thema wird in GRUR-Patent 04/2023 erscheinen.

 

  [1] BGH Urt. v. 13.6.2023 – X ZR 47/21 – Anschlussklemme, GRUR-RS 2023 19626.
  [2] BGH GRUR 2017, 604 Rn. 30 – Ankopplungssystem.
  [3] so BPatG GRUR-RS 2021, 11432 Rn. 57-62.
  [4] BGH GRUR 2017, 604 Rn. 24-31 – Ankopplungssystem m.w.N.
  [5] BGH GRUR-RS 2023 19626 (Ls) + Rn 150-151 – Anschlussklemme.
  [6] Meier-Beck GRUR 2018, 977 (984).

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