Das Einheitspatentgericht (EPG) hat einen beeindruckenden Start hingelegt. Die Anzahl der Fälle ist zumindest aus deutscher Sicht sehr hoch, und die Richter tun alles Nötige, um in der Überzahl der Fälle eine erstinstanzliche Entscheidung innerhalb von zwölf Monaten herbeizuführen.
Im Bereich der standardessentiellen Patente (SEP) ist die befürchtete Klageflut jedoch nicht eingetreten.
Trotz allem stellen die Verfahren vor dem EPG, die SEPs betreffen, einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der anhängigen Patentverletzungsverfahren dar. Insofern wird mit Spannung erwartet, wie das EPG die bisher etablierten nationale und supranationale Mechanismen – insbesondere diejenigen der nationalen Gerichte, die es jedem ermöglichen soll, eine SEP-Lizenz zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien (FRAND) Bedingungen zu erhalten, umsetzen bzw. sich zu eigen machen werden.
Auf nationaler Ebene hat sich gezeigt, dass die Frage, was fair und angemessen ist, im Auge des Betrachters liegt. Auch die Art und Weise, wie sich der Inhaber eines SEPs und der potenzielle Lizenznehmer beim Aushandeln einer entsprechenden Lizenz zu verhalten haben, wurde vor den nationalen Gerichten exzessiv diskutiert. Der Begriff „FRAND Dance“ verdeutlicht, dass hier von beiden Parteien eine vorgegebene Choreografie erwartet wird. Weicht eine der Parteien vom vorgegebenen Verhaltensmuster ab, so kann das im Verletzungsverfahren massive Auswirkungen haben.
Besonders spannend in diesem Zusammenhang ist die momentan im Raum stehende Frage, ob sich das EPG bereit erklären wird, (weltweite) FRAND-Raten - also angemessene Lizenzsätze - zu bestimmen. Die deutschen Gerichte haben das bisher konsequent abgelehnt. Es gibt somit keine einzige deutsche Entscheidung, in der ein Gericht eine FRAND-Rate festgelegt hat. Die deutschen Gerichte vertreten hierbei die Auffassung, dass sie schlecht dazu geeignet sind, den richtigen Preis für eine FRAND-Lizenz zu bestimmen (so der ehemalige Vorsitzende Richter des X. Zivilsenats des BGH Professor Dr. Meier-Beck in einem Interview mit der juristischen Fachzeitschrift JUVE in 2021). Da ein Großteil der beim EPG anhängigen SEP-Verfahren vor den deutschen Lokalkammern anhängig sind, welche mit denselben Richtern besetzt sind, die sich bisher in den nationalen Verfahren gegen eine Festsetzung von FRAND-Raten gesträubt haben, bleibt abzuwarten, ob sie in der neuen Umgebung des EPG eine andere Auffassung vertreten werden. Ein entsprechendes Verfahren vor der Lokalkammer Mannheim (case ID: ACT_545551/2023 UPC_CFI_210/2023) wurde daher mit großem Interesse von allen Seiten verfolgt (hierzu sogleich mehr).
Im globalen Vergleich zeigen US-amerikanische, chinesische und britische Gerichte deutlich weniger Zurückhaltung. Gerichte aller drei Länder haben FRAND-Lizenzraten festgesetzt. Der UK High Court (und in der Berufung auch der UK Supreme Court) hat sogar eine weltweite FRAND-Rate (ohne beide Parteien zugestimmt haben; Unwired Planet gegen Huawei, Fall ID: HP-2014-000005) festgesetzt.
Auch chinesische Gerichte haben bereits globale FRAND-Raten festgesetzt (Property Tribunal of the Supreme People’s Court, Oppo v Sharp; People’s Court of Chongqing Municipality, Oppo v Nokia). Bereits davor hatte der Supreme People’s Court of China in einer Entscheidung (Oppo gegen Sharp in September 2021) klargestellt, dass die chinesischen Gerichte grundsätzlich die nötige Kompetenz haben, um eine weltweite FRAND Lizenz festzusetzen.
Die britischen Gerichte haben sich in letzter Zeit damit hervorgetan, wiederholt FRAND-Raten festzusetzen (UK High Court of Justice, Optis v. Apple, [2021] EWHC 2564 (Pat); UK High Court of Justice, InterDigital v. Lenovo, [2023] EWHC 539 (Pat)).
Weitere im Vereinigten Königreich, in Deutschland und vor dem EPG anhängige Verfahren zwischen Panasonic auf der Klägerseite und Xiaomi und Oppo auf Beklagtenseite, die geeignet gewesen wären Klarheit zu schaffen, wurden vor wenigen Tagen (Ende Oktober) durch einen Vergleich beendet.
Dadurch wurde auch die FRAND-Ratenbestimmungsklage von Oppo in dem Patentverletzungsverfahren zwischen Panasonic und Oppo von der Lokalkammer Mannheim vorzeitig beendet, dies zum großen Bedauern vieler Prozessbeobachten, die hier eine Entscheidung mit Spannung erwartet hätten (diese war für den 6. Dezember angekündigt gewesen).
In dem Verfahren wurde noch Anfang Oktober in Mannheim mündlich verhandelt. In der mündlichen Verhandlung hatte die Mannheimer Lokalkammer zumindest erste Tendenzen erkennen lassen, wie sie zu einer solchen FRAND-Ratenbestimmungsklage stehen könnte (Aussagen der Gerichte in mündlichen Verhandlungen sind allenfalls als eine vorläufige Einschätzung zu verstehen). Die Punkte, die aus der mündlichen Verhandlung mitzunehmen sind, sind zum einen, dass zumindest die Lokalkammer Mannheim es nicht für ausgeschlossen hält, eine FRAND-Ratenbestimmung vorzunehmen. Sie hat jedoch angedeutet, dass sie für eine FRAND-Ratenbestimmungsklage, die in Form einer Widerklage erhoben wurde, eine anhängige SEP-Patentverletzungsklage als Art „Anker“ für erforderlich halten würde. Keinen Anwendungsraum eröffnet sieht sie für losgelöste FRAND-Ratenbestimmungsklagen, die nicht im Zusammenhang mit einer SEP-Patentverletzungsklage stehen. Das EPG sieht sich als Patentgericht, dass nur dann tätig wird, wenn konkret Patente betroffen sind. Eine ausschließliche FRAND-Ratenbestimmung hingegen wäre in den rechtlichen Bereich des Wettbewerbs- bzw. Kartellrecht anzusiedeln.
Weiter sieht sich das EPG hinsichtlich des territorialen Umfangs einer solchen FRAND-Lizenz nur für die Mitgliedsstaaten des EPG (bei einem Einheitspatent) bzw. für den Länder, in denen das geltend gemachte Europäische Patent validiert ist, zuständig. Schließlich könne das EPG die Parteien auch nicht dazu zwingen, eine Lizenz zu den vom EPG festgelegten FRAND-Raten abzuschließen. Die einzige Konsequenz für einen SEP-Patentinhaber, der sich weigern würde, eine FRAND-Lizenz zu den vom EPG festgesetzten Bedingungen abzuschließen, wäre, dass eine entsprechende Unterlassung in dem parallelen Patent Verletzungsverfahren verwehrt bliebe.
Da sich – wie gesagt – die Parteien vorzeitig geeinigt haben, bleibt eine definitive Antwort auf die Frage, ob das EPG eine FRAND-Ratenbestimmung vornehmen wird, weiterhin offen. Es muss somit abgewartet werden, bis erneut ein entsprechender Antrag auf Festsetzung einer FRAND-Rate gestellt wird, und dann das EPG hoffentlich dazu eine Entscheidung fällen kann.
Daneben kann hinsichtlich der ca. 30 anhängigen Verfahren vermutet werden, dass SEP-Inhaber in den vergangenen Monaten abgewartet haben, um zu verstehen, wie sich das neue Gericht in Bezug auf den FRAND Dance verhalten wird. Es ist wahrscheinlich, dass bezüglich dieser Frage im November und Dezember erste Entscheidungen (zu „normalen“ SEP-Verfahren ohne Bestimmung-Widerklagen) zu erwarten sind. Sobald in diesem Punkt Klarheit herrscht, muss damit gerechnet werden, dass die Fälle mit SEP-Bezug deutlich zunehmen.