Neues aus dem Designrecht:

zum Schutz von Bauelementen komplexer Erzeugnisse

Jeannette Lewandowski
Rechtsanwältin, LL.M.
München

Nicht selten bereitet der designrechtliche Schutz sog. „Bauelemente komplexer Erzeugnisse“ gem. § 1 Nr. 3 DesignG rechtliche Schwierigkeiten. Bei „komplexen Erzeugnissen“ handelt es sich, vereinfacht gesagt, um Erzeugnisse, die aus mehreren Bauteilen bestehen und auseinander – und wieder zusammengebaut werden können. „Bauelemente“ sind einzelne Bestandteile dieser Erzeugnisse, welche zusammengefügt das komplexe Erzeugnis ergeben. Die europäische Designrichtlinie (Richtlinie 98/71, „DesignRL“) sieht u.a. vor, dass diese Bauelemente nur dann selbstständigen Designschutz erlangen können, wenn diese bei bestimmungsgemäßer Verwendung des komplexen Erzeugnisses sichtbar bleiben, vgl. zwölfter Erwägungsgrund der DesignRL, Art. 3 Abs. 3 Buchst. a) DesignRL. Sie dürfen also bspw. nicht während der Verwendung im komplexen Erzeugnis verschwinden. Die „bestimmungsmäße Verwendung“ wird dabei u.a. als Verwendung durch den Endnutzer definiert, Art. 3 Abs. 4 DesignRL.

Das bedeutet für Sie, dass bisher Hindernisse bzgl. der Erlangung von Designschutz an Bauelementen komplexer Erzeugnisse bestanden, die bei der hauptsächlichen bzw. üblichen Verwendung des komplexen Erzeugnisses für den Endnutzer nicht sichtbar sind, wie beispielsweise im Fall einer Fahrradsattelunterseite.

In seiner Entscheidung C-472/21 erweitert der EuGH in Luxemburg als oberstes rechtsprechende Organ in der Europäischen Union nun die Möglichkeit des Designschutzes von Bauelementen komplexer Erzeugnisse erheblich. Er stellte u.a. fest, dass es nicht notwendig ist, dass das Bauelement während der gesamten Benutzung des komplexen Erzeugnisses vollumfänglich und dauerhaft sichtbar sein muss, um Designschutz zu genießen. Eine Sichtbarkeit bei Handlungen, die üblicherweise vor oder nach der Hauptfunktion des Erzeugnisses stattfinden, ist ausreichend. Im Übrigen ist bei der Beurteilung der Sichtbarkeit nicht nur auf die Perspektive des Endnutzers, sondern auch auf die Perspektive eines außenstehenden Beobachters abzustellen.

 

Zum Fall

Eine deutsche Gesellschaft ist Inhaberin eines Designs, welches seit 2011 beim Deutschen Patent-und Markenamt für die Erzeugnisse „Sättel für Fahrräder oder Motorräder“ eingetragen ist. Dieses Design ist mit einer einzigen Darstellung eingetragen, welches die Unterseite eines Fahrradsattels zeigt. Eine weitere deutsche Gesellschaft beantragte die Nichtigkeit des Designs mit der Begründung, dass es die nach § 4 DesignG für die Erlangung rechtlichen Designschutzes erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Fahrradsattelunterseite sei bei bestimmungsgemäßer Verwendung des komplexen Erzeugnisses nicht sichtbar.

Die Entscheidung

Mehrere Instanzen später hatte der EuGH in dieser Sache zu entscheiden. Nach Auffassung des Gerichts ist für die Beurteilung des Begriffs „Sichtbarkeit“ sowohl auf die Perspektive des Endnutzers, im vorliegenden Fall also des Fahrradfahrers, als auch auf die Perspektive eines externen Betrachters abzustellen. Die Sichtbarkeit des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses bei „bestimmungsgemäßer Verwendung" im Sinne von Art. 3 Abs. 4 DesignRL sei dabei weit auszulegen und erfasse nicht nur die Hauptfunktion des Erzeugnisses, sondern auch weitere Handlungen die vorgenommen werden können, bevor oder nachdem das Erzeugnis diese Hauptfunktion erfüllt hat, wie im vorliegenden Fall etwa die Aufbewahrung oder der Transport des Erzeugnisses. Ausgeschlossen sind hier diejenigen Handlungen, welche gem. Art. 3 Abs. 4 DesignRL ausdrücklich ausgenommen sind, nämlich Maßnahmen der Instandhaltung, Wartung oder Reparatur. Nicht erforderlich ist, dass das Bauelement zu jedem Zeitpunkt der Verwendung des komplexen Erzeugnisses vollständig sichtbar bleibt. Was unter eine „bestimmungsgemäße Verwendung“ des komplexen Erzeugnisses fällt, ist aus Sicht des Endnutzers zu beurteilen, nicht entscheidend ist der vom Hersteller ursprünglich intendierte Verwendungszweck.

Was bedeutet das für Sie?

Durch seine weite Auslegung des Begriffs „Sichtbarkeit“ auf die Sichtbarkeit durch den Endnutzer und externen Betrachter sowie durch die Erweiterung des Begriffs „bestimmungsgemäße Verwendung“ auf Handlungen, die neben der Hauptfunktion des komplexen Erzeugnisses mit dessen Benutzung üblicherweise einhergehen, hat der EuGH dem Designschutz von Bauelementen komplexer Erzeugnisse weite Türen geöffnet. Die Möglichkeit, Bauelemente komplexer Erzeugnisse als Design gem. § 4 DesignG schützen zu lassen, wurde damit deutlich erweitert. Insbesondere dürfte mit dieser Entscheidung ein Schutz von innenliegenden Bauteilen oder Unterkonstruktionen nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Wäre bspw. bei einem Flugzeug lediglich auf den Piloten als Endnutzer und bei einer Beurteilung der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ des Flugzeuges auf den Flug abzustellen, so wäre die Heckflosse des Flugzeugs gerade nicht geschützt, wenn diese während des Flugs für den Piloten nicht sichtbar ist. Durch die Entscheidung des EuGH kann aber auch auf Dritte außerhalb des Flugzeuges bei Start und Landung der Maschine abgestellt werden und somit die Heckflosse des Flugzeugs Designschutz erlangen.