DE – Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26. März 2019, Az.: X ZR 109/16 – Spannungsversorgungsvorrichtung
I. Einleitung Am 26. März 2019 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Verletzter eines deutschen Patents für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren nachdem die Verletzungshandlung begangen wurde rechtlich verpflichtet ist, den durch eine solche Patentverletzung erzielten Gewinn an den Patentinhaber herauszugeben. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 141 S. 2 PatG iVm § 852 BGB und besteht auch dann, wenn der eigentliche Schadenersatzanspruch wegen Patentverletzung bereits verjährt ist. Deshalb muss der Verletzer über solche Gewinne über einen Zeitraum von 10 Jahren Rechnung legen, wobei eine solche Pflicht zur Rechnungslegung unter anderem die Offenlegung der Herstellungskosten umfasst.
II. Sachverhalt des Falls
Ende 2010 erhob der Patentinhaber aufgrund einer angeblichen Verletzung des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 0 881 145 B1 Klage beim Landgericht Mannheim. Das Veröffentlichungsdatum des Hinweises auf die Erteilung des Patents ist der 26. November 2003. Das Streitpatent betrifft elektrische Spannungsversorgungsvorrichtungen für Flugzeugsitze (sogenannte "110 VInSeatSupply"-Systeme). Der Kern der Erfindung ist ein Steckerdetektor, der die Anwesenheit zweier Kontaktstifte im Stecker des Flugzeugsitzes detektiert, und ein Versorgungsgerät die Versorgungsspannung nur dann auf die Steckdose aufschaltet, wenn die Anwesenheit von zwei Kontaktstiften des Steckers gleichzeitig detektiert wird. Solche vom Streitpatent beanspruchten 110-V-In-Seat-Supplies sind Teil einer Spezifikation für Flugzeugsitze, die von Airbus im Jahr 2003 herausgegeben wurde. Nur zwei Unternehmen haben diese 110-V-In-Seat-Supplies auf den Markt gebracht, nämlich die Beklagte und der Lizenznehmer des Patentinhabers. Die gewerbliche Tätigkeit des Patentinhabers betrifft die Instandhaltung von Flugzeugen.
III. Rechtlicher Rahmen
Nach geltender deutscher Rechtsauffassung der Bemessung des Schadenersatzes kann der Patentinhaber im Fall einer Patentverletzung für die Bemessung seines Schadens eine der folgenden Berechnungsmethoden wählen: (1) eigener entgangener Gewinn, (2) Lizenzanalogie/angemessene Lizenzgebühr, (3) Herausgabe des Gewinns des Verletzers (Verletzergewinn).
Diese drei Methoden unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihrer praktischen Relevanz. Die erste Berechnungsmethode „entgangener Gewinn“ wird in der Praxis kaum angewendet und es existieren nur wenige Entscheidungen dazu. Das liegt daran, dass der Patentinhaber erstens seine Preisgestaltung offenlegen muss, um seinen Schadenersatzanspruch zu substantiieren, wogegen sich die meisten Patentinhaber sträuben. Zweitens trägt jeder Patentinhaber die Beweislast, dass er seine Produkte verkauft hätte wenn die angegriffenen Produkte nicht auf dem Markt gewesen wären. Dies stellt nach der deutschen Rechtsprechung eine sehr hohe Hürde dar, die in der Praxis nur in Märkten mit sehr wenigen Marktteilnehmern überwunden wird.
Die zweite Berechnungsmethode "Lizenzanalogie/angemessene Lizenzgebühr" war in der Vergangenheit die bedeutendste Möglichkeit zur Berechnung des Schadenersatzes, hat ihre "Pole Position" aber an die dritte Berechnungsmethode "Herausgabe des Verletzergewinns" verloren. Diese Methode ist mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. November 2000 (Az.: I ZR 246/98 – Gemeinkostenanteil) sehr attraktiv geworden. In dieser Entscheidung hat der BGH den "Gewinn" auf sehr eigene Weise definiert und festgestellt, dass der Verletzer die allgemeinen Gemeinkosten nicht von dem mit den angegriffenen Produkten generierten Umsatz ab ziehen darf, sondern nur diejenigen Kosten, die den schutzrechtsverletzenden Produkten unmittelbar zugerechnet werden können. Dieser Ansatz ist für Patentinhaber sehr günstig und wird nur dadurch abgemildert, dass der Verletzer nur solche "Gewinne" herausgeben muss, die durch die Verletzung erwirtschaftet wurden. Folglich muss der Anteil der patentierten Erfindung an der Kaufentscheidung des Kunden für das angegriffene Produkt berücksichtigt werden (bahnbrechende Erfindung oder geringfügige Verbesserung). Nichtsdestotrotz liefert diese dritte Berechnungsmethode in den meisten Fällen viel höhere Beträge als eine angemessene Lizenzgebühr.
Dies ist die Ausgangslage für die aktuelle Entscheidung "Spannungsversorgungsvorrichtung" des Bundesgerichts hofs (Az.: X ZR 109/16). In dieser Entscheidung wurde der Beklagte zwar der Patentverletzung für schuldig befunden, konnte sich aber erfolgreich mit dem Argument verteidigen, dass alle Schadenersatzansprüche vor dem 1. Januar 2007 im Jahr 2010 schon verjährt waren, als der Patentinhaber vor dem Landgericht Mannheim Klage erhob.
Gemäß § 141 S. 1 PatG iVm § 195 ZPO verjähren alle Ansprüche wegen Patentverletzung innerhalb von drei Jahren nach dem der Patentinhaber von der Verletzung Kenntnis erlangt hat (oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erlangt hat). Diese 3-Jahresfrist beginnt am Ende des Jahres zu laufen, in dem der Patentinhaber von der Patentverletzung Kenntnis erlangt hat (oder aufgrund grober Fahrlässigkeit keine Kenntnis von der Verletzung erlangt hat).
Im vorliegenden Fall hat der BGH festgestellt, dass der Patentinhaber tatsächlich bis 2009 nichts von der Verletzung gewusst haben könnte (wie vom Patentinhaber vorgetragen). Aus Sicht des BGH hatte der Patentinhaber was die Verletzung anbelangt allerdings mindestens seit 2004 den Kopf in den Sand gesteckt und somit grob fahrlässig gehandelt. Diese Feststellung wurde damit begründet, dass Airbus im Jahr 2003 die Spezifikation für Flugzeugsitze herausgegeben hatte, auf die sich das Streitpatent liest. Aufgrund der Tatsache, dass der Patentinhaber den Wartungsservice für Flugzeuge von Airbus durchführte, hätte er einfach die in solchen Flugzeugen verbauten Sitze und Stromversorgungssysteme prüfen können, nachdem die Spezifikation in Kraft getreten war (und spätestens im Jahr 2004). In der Folge waren alle Schadensersatzansprüche für Verletzungshandlungen vor dem 1. Januar 2007 bereits verjährt, als sich der Patentinhaber fast sieben Jahre später im Jahr 2010 entschied Klage zu erheben.
Diese Auffassung des BGH hat dem Verletzer allerdings nicht geholfen. Denn nach deutschem Patentrecht ist der Verletzer auch in Fallkonstellationen in denen die eigentlichen Schadenersatzansprüche bereits verjährt sind, gemäß § 141 S. 2 PatG iVm § 852 ZPO für einen Zeitraum vom 10 Jahren (beginnend mit der Verletzung) zur Herausgabe des mit der Patentverletzung gemachen Gewinns an den Pateninhaber verpflichtet.
IV. BGH-Entscheidung
In der aktuellen BGHEntscheidung "Spannungsversorgungsvorrichtung" (Az.: X ZR 109/16) entschied das Gericht, dass diese rechtliche Pflicht des Verletzers de facto einem unabhängigen Schadensersatzanspruch des Patentinhabers gleich kommt (sog. Restschadensersatzanspruch) Nach dem BGH gestattet es dieser Restschadensersatzanspruch dem Patentinhaber eine der beiden Schadensberechnungsmethoden auszuwählen: entweder i) Lizenzanalogie/angemessene Lizenzgebühr oder ii) Herausgabe des Verletzergewinns. Nur die dritte Berechnungsmethode "eigener entgangener Gewinn" ist im rechtlichen Rahmen des § 141 S. 2 PatG iVm § 852 ZPO nicht verfügbar. Des Weiteren hat der BGH entschieden, dass die entsprechende Pflicht des Verletzers zur Rechnungslegung die Pflicht zur Offenlegung aller Informationen zu den Herstellungskosten umfasst, da der Patentinhaber diese Informationen benötigt, um den "Gewinn" nachprüfen zu können, den der Verletzer mit der Verletzung erzielt hat.
V. Fazit
Für Praktiker macht dieses Urteil deutlich, dass Patentverletzungen in Deutschland teuer sind: Zum einen deswegen, weil die Schadensberechnungsmethode "Herausgabe des Verletzergewinns" von den deutschen Gerichten auf patentinhaberfreundliche Weise angewendet wird. Zum anderen, weil es inzwischen höchstrichterlich festgestellt ist, dass die Haftung für solche Schadenersatzansprüche für einen Zeitraum von 10 Jahren beginnend mit der Verletzung gewährt wird. Beim Vergleich dieser 10-Jahresfrist mit anderen "Hotspot"-Ländern für Patentverletzungen – z.B. USA: 6 Jahre; GB: 6 Jahre; FR: 5 Jahre – bleibt die deutsche Patentlandschaft für Patentinhaber höchst attraktiv. Zu guter Letzt sollte berücksichtigt werden, dass auch eine entsprechende Pflicht zur Rechnungslegung für Verletzer sehr schmerzhaft ist, da dem Patentinhaber die Herstellungskosten für die letzten 10 Jahre offengelegt werden müssen.
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